Ellen Kuder ist Vice President DACH des Pay-after-delivery-Unternehmens AfterPay, ein Tochterunternehmen der Arvato Financial Services/Bertelsmann. Als Growth-Expertin implementiert sie neue Technologien und nachhaltige Geschäftsmodelle, die das Leben von Millionen von Menschen verändern. Sie ist Tech-Enthusiastin der ersten Stunde und hatte zuvor leitende Positionen bei NTT (Nippon Telegraph and Telephone Group), Microsoft und dem Mobilitäts-Startup door2door inne.
“Ich bin Verfechterin einer Denkweise, die nach Wachstum strebt, in einer Arbeitswelt, die durch Disruption geprägt ist – das ist für mich ‘The New Normal’. Das Jahr 2020 war in der Hinsicht ein Weckruf, der gezeigt hat, dass die Transformation zu New Work unabdingbar ist und mittlerweile auch in den Köpfen aller angekommen ist. Die neue Arbeitswelt umfasst viel mehr als nur Video-Meetings und Homeoffice – es geht darum, die DNA der Unternehmen grundlegend zu ändern, um neue Arbeitsstrukturen und -prozesse nachhaltig umsetzen zu können. Dafür setze ich mich bereits seit Beginn meiner Karriere ein und freue mich, Organisationen und Unternehmen auch weiterhin dabei zu unterstützen.”, so Ellen Kuder.
Was ist für Sie Digitalisierung?
Die Digitalisierung ist nicht einfach nur ein Trend, sondern eine gesellschaftliche Revolution, wie zuvor die industrielle, die unsere Welt durch den Einsatz von Technologie in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verändert. Das beeinflusst nicht nur die Wirtschaft und unser Arbeitsleben sondern auch die Art, wie wir unser Zusammenleben gestalten.
Wie beeinflusst die digitale Transformation Ihr Arbeitsleben?
Die Digitale Transformation hat mein Berufsfeld erst ermöglicht. Ich unterstütze seit Jahren Unternehmen dabei, ihre Prozesse mittels Technologie zu transformieren, sei es, um effizienter zu werden oder aber um Kunden eine bessere Customer Experience zu bieten. Der Ecommerce profitiert massiv von der Digitalisierung des Handels, das gilt natürlich auch buy now, pay later (BNPL) Zahlarten wie AfterPay.
Hat die Pandemie die digitale Revolution vorangetrieben? Sehen Sie das als „positive Auswirkung“?
Die Auswirkungen der digitalen Revolution in der Pandemie sind enorm und führen zu einem längst überfälligen Umdenken in vielen Bereichen. So haben auch sehr traditionell geführte Unternehmen gelernt, dass Homeoffice möglich ist, Vorteile für alle bietet und auch nach der Pandemie im Rahmen von hybriden Arbeitsmodellen fortgeführt werden sollte. Aber auch Bereiche wie der stationäre Einzelhandel, die mit den negativen Auswirkungen der Pandemie konfrontiert waren und wo Digitalisierung schlicht ein Mittel zum Überleben war, werden langfristig von zusätzlichen digitalen Absatzkanälen profitieren.
Wie sieht Ihre neue Normalität aus?
Ich habe während meines Berufslebens immer ortsunabhängig gearbeitet, zunächst in der Beratung, dann bei Microsoft und insbesondere durch die Leitung internationaler Teams. Für mich ist die Arbeit im Homeoffice also nicht neu, aber ich genieße es durchaus, nicht mehr so viel unterwegs zu sein. Für mich wird die Reisetätigkeit nach der Pandemie nicht mehr das gleiche Niveau erreichen und dabei spielen für mich nicht nur zeitliche sondern insbesondere auch ökologische Aspekte eine Rolle.
Was sind die Ziele in Ihren Digitalisierungsprojekten?
Unser Ziel ist es, möglichst vielen Onlinehändler, auch mittelständischen und kleineren Unternehmen in ganz Europa Transaktionen mittels buy now, pay later zu ermöglichen – und das schnell und unkompliziert per plug & play. Für Händler steht dabei die Minimierung von Zahlungsausfällen aufgrund von Betrug oder Zahlungsunfähigkeit im Vordergrund. Für die Kunden liegt der Fokus auf Convenience und Flexibilität beim Bezahlprozess.
Was sind die Hauptanforderungen in Ihren Kundenprojekten?
Für unsere Kunden steht die „seamless customer experience“ über allem. Produktauswahl und Kaufabschluss sollen so reibungslos wie möglich ablaufen, um die Conversion und Return Rate möglichst hoch zu halten. Insbesondere der Bezahlprozess im Check-out spielt hier eine große Rolle, denn er ist für 20% der Kaufabbrüche verantwortlich. BNPL bietet nicht nur einen reibungslosen Check-out Prozess sondern auch die Möglichkeit, Kunden auch nach dem Kauf zu binden. Bei aller Convenience müssen Sicherheit für Händler und Endkunde dabei immer gewährleistet sein.
Welche Herausforderungen zeigen Ihre Projekte?
Oft scheitert eine schnelle Umsetzung an komplexen Entscheidungsprozessen und technologischen Hürden auf Händlerseite. Der Mangel an verfügbaren IT-Ressourcen für die technische Umsetzung macht sich hier bemerkbar. Dabei korreliert diese Problematik stark mit der digital Maturity der jeweiligen Unternehmen.
Woran scheitert der Wille zur Digitalisierung am häufigsten?
Für mich spielen hier drei Aspekte eine Rolle:
1. Die Dringlichkeit der Digitalisierung wird hochgradig unterschätzt. Der „Digital first“ Gedanke muss in allen Prozessen und insbesondere bei allen Führungskräften zu 100% verankert sein.
2. Die Digitalisierung muss sich in der KPI Struktur des Unternehmens wiederfinden und messbar sein. An dieser Stelle möchte ich ein spezifische KPI-Setting auch für das Thema Sustainability empfehlen. Denn nur so wird transparent, wo das Unternehmen in Bezug auf die beiden Aspekte steht.
3. Digitalisierung ist kein abgeschlossener Prozess, sie erfordert ein kontinuierliches Upskilling der eigenen Workforce.
Die Pandemie hat in vielen Unternehmen zur „Zwangsdigitalisierung“ geführt. Bemerken Sie ein Umdenken bei Ihren Kunden?
Ja ich stelle eindeutig ein Umdenken fest. Gerade die unterschätzte Dringlichkeit wurde für viele Unternehmen in der Pandemie zum ernsten Problem. Businessmodelle mussten schnell angepasst und digitalisiert werden, oft auch um das Überleben des Unternehmens oder den Wegfall der analogen / stationären Geschäfte auszugleichen. Viele unserer Kunden überlegen nun, wie sie sich mit Hilfe digitaler Prozesse dauerhaft profitabler aufstellen können, das betrifft die Nutzung von Bürogebäuden, die Planung von Büroräumen und die Digitalisierung von Arbeitsplätzen. Aber auch beim Thema Dienstreisen stelle ich ein Umdenken fest: die auch von mir selbst oft genug praktizierte Fielfliegerromantik wird nach der Pandemie nicht mehr geben. Unternehmen und Mitarbeiter werden bewusster darüber nachdenken, welche Meetings digital stattfinden können und wann Dienstreisen und physische Meetings tatsächlich noch erforderlich sind. Wenn wir uns künftig mit Kunden treffen, dann nicht für den Review monatlicher KPIs, sondern um gemeinsam etwas Neues zu erschaffen und kreativ an neuen Lösungen zu arbeiten.
Gibt es in Ihren Projekten Fallstricke, die immer wieder auftauchen?
Wie gehen Sie vor?
Die Paymentindustrie ist zurecht ein stark reguliertes Business. Innerhalb von Europa gibt es viele regulatorische und compliance-technische Besonderheiten in den einzelnen Ländern, die immer wieder individuell berücksichtig werden müssen. Auch die bereits erwähnten Unterschiede im Hinblick auf die „Digital Maturity“ der Unternehmen ist eine immer wieder auftretende Herausforderung.
Wie sehen Sie die Zukunft der neuen Arbeit?
Die Zukunft der neuen Arbeit steht für mich unter dem Motto: „Work life blending at its best“. Genau meine ich damit, die perfekte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, selbstbestimmte Zeiteinteilung und keine Zeitverschwendung für den Weg zur Arbeit.
Bleibt die neue Normalität oder gibt es wieder Business as Usual?
Ich hoffe, dass wir bald die menschlichen Aspekte von Zusammenarbeit wieder ermöglichen können. Gleichzeitig glaube ich, dass die Vorteile die uns die Digitalisierung der Arbeitsplätze gebracht hat sowohl für Mitarbeiter als auch Unternehmen Teil der neuen Normalität werden. Unternehmen werden an den Einsparungen die sie durch die Reduktion von Büroflächen und geringere Reisetätigkeiten erzielt haben festhalten wollen. Das ist nicht nur ökonomisch sondern auch im Hinblick auf die ökologische Verantwortung sinnvoll. Hier erwarte ich auch, dass die Rechenschaftspflichten von Unternehmen insbesondere durch die höhere CO2 Bepreisung steigen. Wenn wir uns künftig Treffen, dann wird Kreativität und die menschliche Komponente der Zusammenarbeit im Mittelpunkt stehen.